BRUNO ROSSBACH
Der Erzähler, das Erzählte und der Adressat in E. T. A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann. Einige Ergänzungen zu einer Debatte
Erzählen ist ein Prozess, in dessen Verlauf (1) ein Erzähler (2) ein Geschehen in Hinblick auf (3) einen Adressaten versprachlicht. Das Resultat dieses Prozesses ist (4) ein synthetisches Gebilde, das sich wiederum auf seine ursprünglichen Konstituenten zurückführen lässt. Dies gilt für faktuale wie für fiktionale Erzählungen.
Im Fall des fiktionalen Erzählens verzweigt sich die Konstituente "Erzähler" jedoch in einen Autor/Creator, der außerhalb der Erzählung verbleibt, und in einen Erzähler/Narrator, der im Inneren der Fiktion agiert. Dieser Narrator erfindet nicht (wie der Autor), sondern findet vor, nämlich die "Res", das heißt die "Sache", die es zu erzählen gilt.
Die Rede des Narrators wird mit Hilfe einer dreiwertigen Semantik auf der Grundlage der Sprachtheorie Karl Bühlers analysiert: Sie verweist (1) auf ein objektives Geschehen (Darstellungsfunktion), spiegelt gleichzeitig (2) die Subjektivität des Erzählers (Ausdrucksfunktion) und gibt darüber hinaus Aufschlüsse über die Erzählabsicht, die (3) auf den Adressaten hinzielt (Appellfunktion/Beeinflussung).
Aus diesen strukturellen und semantischen Sachverhalten ergeben sich die interpretativ entscheidenden Fragen: Wer erzählt was zu wem und warum bzw. zu welchem Zweck? Die Warum-Frage liefert den Schlüssel für den Sinn der Erzählung. Eine skizzenhafte "Heuristik der Analyse und Interpretation narrativer Texte", die auch den Autor berücksichtigt, beschließt diesen Beitrag.
Aufgrund der linguistisch-semiotischen Fundierung des Papiers ergeben sich in Bezug auf die "Kognitive Hermeneutik" einige inhaltliche Schwerpunktverlagerungen und methodische Besonderheiten, jedoch keine unüberbrückbaren Differenzen.