ROLAND RING
Ist hypothetisch-deduktive Methodik für geisteswissenschaftliches Interpretieren anwendbar?
Ansätze zur Untersuchung möglicher Anwendung mit Blick auf Dagfinn Føllesdals Thesen nebst einigen Anmerkungen zur musikalischen Analyse nach Hans Heinrich Eggebrecht
Geisteswissenschaftliches Interpretieren, so ein gängiges Diktum, unterscheide sich grundsätzlich von naturwissenschaftlicher Vorgehensweise. Während letztere zwar durchaus als "hypothetisch-deduktiv" beschrieben werden könne, sei das bei ersterem hingegen keineswegs der Fall. Umso erstaunlicher mag oftmals der Gewissheitsanspruch, welcher mit solchen Deutungen nicht selten verbunden scheint, anmuten.
Dieser Aufsatz untersucht, inwiefern hypothetisch-deduktive Methodik mit geistenswissenschaftlichem Interpretieren vereinbar ist; der exemplarische Fokus liegt dabei auf Literatur- und Musikwissenschaft. Zunächst werden dazu die Begriffe "hypothetisch-deduktive Methode" und "Hermeneutik" bestimmt und eingegrenzt: Erstere wird durch zwei Merkmale charakterisiert – die fortwährende Hypothetizität ihrer Aussagen sowie die Falsifikationsversuche gebildeter Hypothesen durch Konfrontation mit Erfahrungen. Letztere wird als "Methodolodie des Interpretierens" verstanden, wobei hier ein naturalistischer Standpunkt eingenommen wird.
Unter Rückgriff auf Dagfinn Føllesdals entsprechende Untersuchungen von 1977/79 wird sodann ein von ihm präsentiertes Beispiel für Literatur-Interpretation differenziert auf seine Vereinbarkeit mit hypothetisch-deduktiver Methodik hin analysiert, indem es in ihrem Sinne rekonstruiert wird, potentielle methodische Fehlerquellen aufgezeigt und Probleme beim Nachweis der Anwendung knapp systematisiert werden. Kurz in den Blick rückt dabei auch die Abhängigkeit jeder Deutung von explizit oder implizit herangezogenen Theorien, sowie die Relevanz der Differenzierung verschiedener Deutungsansätze bzw. -fragestellungen.
Im Anschluss wird ein Blick auf Hans Heinrich Eggebrechts "Methode der musikalischen Analyse" von 1970/72 geworfen: Deren Ausrichtung, das von ihr verwendete Begriffssystem sowie die mit ihr verbundenen (An-)Forderungen werden zunächst vorgestellt, dann dient ebenfalls ein Interpretationsbeispiel zur Prüfung der Vereinbarkeit dieses Ansatzes mit hypothetisch-deduktiver Methodik. Abschließend wird dessen Wissenschaftlichkeitsanspruch kurz thematisiert.