PATRCIK KÖRNER
Aufklärungstechnologie: Strategien ideologiekritischer Praxis
Der Beitrag zeigt, dass der praktische Anspruch ideologiekritischer Theorien – die Reduzierung oder Überwindung von Ideologien – nicht ohne Anbindung an die empirischen Einzelwissenschaften erfüllt werden kann und weshalb Strategien der ideologiekritischen Praxis zumindest auch die Förderung kritischer Kompetenzen der aufzuklärenden Akteure forcieren müssen.
In einem ersten Schritt wird gezeigt, dass etwa auch die marxistische Tradition der Ideologiekritik nicht darauf verzichten kann, grundsätzlich die Strategie klassisch-"aufklärerischer" Aufklärungstechnologie für die Zurückdrängung von Ideologien in Betracht zu ziehen, die meist in dem Verfahren gesehen wird, die "Kritik des Bewusstseins" durch die Vermittlung zutreffenden Sachwissens – etwa in Form von Bildung – zustande zu bringen. In einem zweiten Schritt wird dieses klassische Verständnis von "Aufklärungstechnologie" anhand von Poppers Konzept der "Selbstbefreiung durch das Wissen" charakterisiert. Eine knappe Diskussion soll erläutern, inwiefern ein derartiger ideologiekritischer Anspruch auf die Praxis der etablierten Einzelwissenschaften zurückgreifen muss und wie diese in gesellschaftlich relevanter Hinsicht kritisch sein können, ohne eine eigenständige "kritische Methode" in Anspruch nehmen zu müssen. Insofern mit ideologiekritischer Praxis zudem der Anspruch verbunden wird, die Mündigkeit, Autonomie und die Handlungsspielräume der aufzuklärenden Akteure zu erhöhen, ergibt sich im Rahmen der Aufklärungstechnologie der Vermittlung zutreffenden Sachwissens ein – scheinbares, weil behebbares – Paternalismusdilemma, das dann auftritt, wenn die Mündigkeit der Akteure mit Hilfe der Vermittlung von Theorien forciert werden soll, deren Glaubwürdigkeit die Akteure mit ihren eigenen Kompetenzen nicht hinreichend beurteilen können. Der dritte Schritt verdeutlicht sodann die Relevanz der etablierten Einzelwissenschaften für die Beurteilung der Erfolgswahrscheinlichkeiten ideologiekritischer Aufklärungstechnologien am Beispiel der "Backfire-Effects", die in den letzten Jahren von der empirischen Psychologie im Rahmen von "Debunking-" und "Debiasing"-Ansätzen untersucht wurden. "Backfire-Effects" bezeichnen das Phänomen, dass Akteure, deren fehlerhafte Überzeugungen durch zutreffenderes Sachwissen kritisch korrigiert werden sollen, mitunter dazu neigen, ihre entsprechenden Überzeugungen nicht nur nicht angemessen zu modifizieren, sondern aufgrund des Überzeugungsversuchs mit noch größerem Eifer vertreten. Diese Effekte betreffen also das Problem der Erklärung der Persistenz fehlerhafter Überzeugungen, das in der Geschichte ideologiekritischer Theorien immer wieder diskutiert und teilweise für die Fruchtlosigkeit klassisch aufklärerischer ideologiekritischer Praxis verantwortlich gemacht wurde. Die empirische, experimentelle Untersuchung solcher Effekte erlaubt es nun aber, Faktoren zu identifizieren, die die Wahrscheinlichkeit des Auftretens dieser Effekte erhöhen oder reduzieren, sodass Strategien aus ihnen ableitbar sind, die die Erfolgswahrscheinlichkeit ideologiekritischer Aufklärungstechnologien verbessern können. Eine Verschärfung des Paternalismusdilemmas ergibt sich nun daraus, dass die besonders erfolgsversprechenden Strategien, "Backfire-Effects" zu reduzieren, auf der Manipulation der aufzuklärenden Akteure beruhen – und damit dem Anspruch, die Mündigkeit der Akteure zu erhöhen, praktisch widersprechen.
Das Fazit fasst schließlich zusammen, inwiefern der Erfolg ideologiekritischer Aufklärungstechnologien von der grundsätzlichen Offenheit ihrer Strategien und ihrer Berücksichtigung der Forschung der empirischen Einzelwissenschaften abhängt. Das konkrete Problem des Paternalismusdilemmas kann indessen nur gelöst werden, wenn die kritischen Kompetenzen der aufzuklärenden Akteure selbst erhöht werden, wozu allein bestimmte Wissensbestände hilfreich sein können, die zum Abschluss skizzieren werden und zugleich die Grenzen klassisch-"aufklärerischer" Aufklärungstechnologie demarkieren.