PETER TEPE UND GIOVANNI TEPE
Denkfehler. Versuch, die kognitive Psychologie mit der erkenntniskritischen Ideologieforschung ins Gespräch zu bringen
Die Herausarbeitung von Denkfehlern bzw. Irrtümern (englisch bias) ist ein Hauptziel der kognitiven Psychologie, die seit längerer Zeit eine führende Rolle spielt. Rolf Dobellis Bestseller Die Kunst des klaren Denkens. 52 Denkfehler, die Sie besser anderen überlassen stellt wichtige Ergebnisse dieser Richtung in einer pointierten, beispielgesättigten Form dar. Daher ist dieses Buch in besonderem Maß geeignet, das Verhältnis der von Peter Tepe entwickelten erkenntniskritischen Ideologieforschung zur Biasforschung der kognitiven Psychologie zu klären – mit dem Ziel, beide Disziplinen miteinander ins Gespräch zu bringen.
Die kognitive Psychologe (als deren Repräsentant Dobelli aufgefasst wird) weist nicht nur auf Denkfehler hin, die im Alltagsleben häufiger auftreten und dort negative Folgen haben, sie zeigt auch auf, wie man sie vermeiden kann. Sie hat somit eine aufklärerische Zielrichtung. Hier besteht Übereinstimmung mit der erkenntniskritischen Ideologieforschung, zu deren Vorläufern unter anderem Francis Bacons Idolenlehre gehört.
Tepes erkenntniskritische Ideologietheorie geht von der Annahme aus, dass menschliches Denken und Handeln stets von Überzeugungen gesteuert wird, die zusammen ein Überzeugungssystem bilden. Als deren Grundlage fungieren Weltbildannahmen hier und Wertüberzeugungen (moralischer, politischer, ästhetischer und anderer Art) dort. Daraus ergibt sich die Frage, ob die unauflösliche Bindung menschlichen Lebens an variable Überzeugungssysteme in der Biasforschung der kognitiven Psychologie angemessen berücksichtigt wird.
Die erkenntniskritische Ideologietheorie praktiziert ein Zweischrittverfahren. In Schritt 1 wird gezeigt, dass es sich bei bestimmten Aussagen um einen Irrtum/Denkfehler handelt; das wird als Irrtumsforschung bezeichnet. In Schritt 2 wird demgegenüber gefragt, ob das Zustandekommen des jeweiligen Irrtums auf bestimmte Wünsche/Bedürfnisse/Interessen zurückzuführen ist. Ist das der Fall, so wird von einem bedürfniskonformen Denken gesprochen. Damit wird der Irrtumskritik eine weitere Dimension hinzugefügt.
Diese Theorie ermöglicht es zu erklären, weshalb an diesem oder jenem Irrtum häufig auch dann festgehalten wird, wenn man ihn – zumindest ansatzweise – erkannt hat. Die These lautet: Ein Irrtum/Denkfehler wird oft trotz einer solchen Einsicht nicht überwunden, weil dieser einen psychischen Nutzen abwirft, auf den man nicht verzichten mag; dieser wird als Irrtumsgewinn bezeichnet. Der zentrale Irrtumsgewinn lässt sich in allgemeiner Form so bestimmen: Das Denken und Handeln vieler Menschen beruht auf dem tiefsitzenden Wunsch nach einer möglichst einfachen und Gewissheit vermittelnden Lebensorientierung, die in dogmatischer Einstellung als definitiv wahr angesehen wird. Wenn man dieses tieferliegende bedürfniskonforme Denken nicht zu problematisieren und zurückzudrängen vermag, wird man an einem bestimmten Denkfehler oft auch dann festhalten, wenn man ihn ansatzweise erkannt hat – der Irrtumsgewinn, der im Weiterwirken der in dogmatischer Einstellung vertretenen weltanschaulichen Hintergrundüberzeugungen besteht, hat dann eine größere Bedeutung als die Korrektur eines konkreten Irrtums. An dieser Einstellung festzuhalten, macht das Leben zunächst einmal einfacher und weniger konfliktanfällig, und deshalb werden Störungen der vermeintlichen Gewissheit intuitiv abgewehrt. Es gilt somit, Grundtendenzen des bedürfniskonformen Denkens wie das Gewissheitsverlangen zu überwinden, die durch Irrtumsgewinne am Leben erhalten werden.
Menschen sind, wie die kognitive Psychologie richtig erkennt, für Irrtümer/Denkfehler anfällige Lebewesen, aber sie sind auch für das bedürfniskonforme Denken anfällige Lebewesen. Besteht seitens der kognitiven Psychologie ein Interesse daran, darüber zu diskutieren?