STEFAN OEHM
Prolegomena zu einer Revision des Werkbegriffs
Wie Phoenix steigt derzeit wieder, insbesondere in der Literaturwissenschaft, der Werkbegriff aus der Asche. Es werden Grenzen des Werks ausgelotet, werden ontologische gegen normative gegen pragmatische Werkkonzepte abgewogen. Es wird gefragt, was wann Werk ist, was schon Werk, was noch nicht Werk ist oder nie Werk sein kann. Wird Text vom Werk vom Artefakt von der Schöpfung geschieden, mit großer Beredsamkeit über Werkfunktionen und Funktionslosigkeit gestritten und "Werk" wahlweise als ästhetischer Grundbegriff verhandelt oder verworfen. Gegenständliche Entitäten bildender Künste werden im Zuge des performative turn als "Werke" bezeichnet, Resultate transitorischer Künste hingegen als Ereignisse begriffen. Demgegenüber verdoppelt die typentheoretische Kunstontologie die Anzahl der Werke, indem sie Typen zu den eigentlichen Werken erklärt, die ins platonisch anmutende Reich der Abstrakta platziert werden. Die sinnlich wahrnehmbaren Werke werden dagegen zu Token degradiert, zu subalternen Verkörperungen der Typen. Auf Seiten persistierender Entitäten werden "Werk", "Kunstwerk" und "Kunst" fast schon synonym gebraucht, während auf Seiten transitorischer Ereignisse zwar bisweilen von "Werken", jedoch nur selten von "Kunst" und kaum von "Kunstwerken" die Rede ist – wer nennt heute Goethes Faust, van Beethovens Fidelio, Miles Davis’ So What oder gar eine Improvisation von So What ein "Kunstwerk"? Trotz aller Bemühungen: Es herrscht heilloses Begriffschaos. Dem wollen wir mit einer systematischen Differenzierung des Werkbegriffs begegnen.