JENS HELMUS
"Sich [...] in die Waage der Zeit werfen". Kleists Herrmannsschlacht aus Sicht der literaturwissenschaftlichen Mythosforschung
Die vorliegende Arbeit hat das 1808 entstandene Drama Die Herrmannsschlacht des Dichters Heinrich von Kleist zum Gegenstand. Aus Sicht der literaturwissenschaftlichen Mythosforschung wird untersucht, wie und mit welchem Ziel Kleist den Mythos um die Schlacht aufgreift und in seinem Drama verarbeitet, wobei der Begriff "Mythos" zunächst definiert und dann auf das Werk angewendet wird, da er im Sprachgebrauch auf vielfältige Weise Gebrauch findet. Als Leitfaden der Arbeit dient das von Peter Tepe in seiner Veröffentlichung Mythos & Literatur entwickelte Arbeitsprogramm, das bei der Interpretation im Rahmen der Kognitiven Hermeneutik nach dem Textkonzept, der Literaturauffassung und dem Überzeugungssystem des Autors fragt. Nach einem Überblick über die Entwicklungs- und Entstehungsgeschichte des Mythos um die Varusschlacht und einem Vergleich des Kleistschen Dramas mit Klopstocks Hermann_s Schlacht wird gezeigt, dass Kleists negative Sicht der während der Entstehung des Dramas bestehenden Besatzung Deutschlands durch das napoleonische Frankreich für das Drama maßgeblich textprägend ist. Die Römer symbolisieren die Franzosen unter Napoleon, die Germanen die unter der Besatzung lebenden Deutschen. Kleist verleiht in der Herrmannsschlacht seinem starken Unmut über die Besatzung Ausdruck, verfolgt gleichzeitig aber auch agitatorische Tendenzen. Er will aufzeigen, dass eine Befreiung nur gelingen kann, wenn die deutschen und österreichischen politischen Führer sich vereinen und zudem humanistische Werte – denen Kleist selbst einen hohen Stellenwert beimisst – hintenangestellt werden.