RAIMAR NUCA
Das "Ewig Weibliche" in Goethes Faust. Eine ideengeschichtliche Interpretation
Goethes Faust zählt zu den am häufigsten interpretierten Werken der Weltliteratur. Vor allem der Tragödienschluss gibt dem Leser immer neue Rätsel auf. So lässt der Dichter in seinen Bergschluchten an höchster Stelle in Form der Büßerinnen, der una poenitentum und der Mater gloriosa ausschließlich weibliche Gestalten auftreten. Indem Goethe, wie er in einem Gespräch mit Eckermann bekennt, von christlicher Seite nur die "scharf umrissenen christlich-kirchlichen Figuren" verwendete, die seinen "poetischen Intentionen eine wohltätig beschränkende Form und Festigkeit" gaben, wirft er damit die Frage in den Raum, womit er diese angefüllt hat, auf welche Grundlagen seine "poetischen Intentionen" über das Weibliche zurückgeführt werden können, um interpretierbar zu werden.
Einen ersten Anhaltspunkt bietet hier Adorno, der in seinem bemerkenswerten Aufsatz zum Faustschluss auf zahlreiche Parallelen zur jüdischen Mystik hinweist, mit der Goethe sich unter anderem in seinen zwanziger Jahren beschäftigte. Von Adornos Hinweisen ausgehend werden deshalb zunächst Grundelemente kabbalistischer und, eingedenk Goethes eigener Anmerkungen in Dichtung und Wahrheit, auch neuplatonischer und gnostischer Mystik erläutert und im Anschluss an den Faust angelegt. Es wird sich zeigen, dass die Parallelen sich zwar nicht allein auf die Schlussapotheose beschränken, die Elemente von Goethe jedoch niemals schlicht kopiert, sondern stets in seinem Sinne verändert wurden.