WERNER HOLLY
Schamlose Verführung – Politisches Framing in einer Werbeanzeige. Autokrise und Auto-Mythos im kulturellen Kapitalismus
Schon in den 1950er Jahren entzauberte Roland Barthes den Mythos des legendären Citroën DS 19; das Auto erschien wie eine Göttin, obwohl es doch nur ein industrielles Massenprodukt war. Seine Analyse lässt sich mühelos im Kontext von politischem Framing reformulieren. Im heutigen "kulturellen Kapitalismus" mit seiner neuen Klassengesellschaft (Reckwitz) wird der bedrohte Mythos eines Autos der Luxusklasse in einer doppelseitigen Anzeige wieder neu aufgeladen, angesichts der aktuellen Auto-Krise auch mit politischen Implikationen, aber etwas anders: ein Fall von politisch relevantem "Reframing". Eine vage androgyn oder narzisstisch getönte Erotisierung im Text und das schwüle Bild einer entpersönlichten nächtlichen Stadtfahrt inszenieren zentrale Lebensstil-Elemente der neuen tonangebenden "Akademikerklasse": affektive Erlebnissteigerung, Urbanität und Degendering; sie werden auch von der "neuen Oberklasse" geteilt, die hier adressiert wird, aber sie kann sich darüber hinaus alles leisten, auch den expliziten Tabubruch eines Spiels gegen alle Vernunft, den ein solches Auto wohl bedeutet. In dieser Mythisierung erscheint Schamlosigkeit wie selbstverständlich, naturalisiert durch multimodales politisches Framing.