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PETER TEPE

Fundamentalismus: Neue Wege in Analyse und Kritik. Eine Anwendung der kognitiven Ideologietheorie

Die umfangreiche Abhandlung verfolgt das Ziel, der Diskussion über Fundamentalismus neue Impulse zu geben. Die vertretene Theorie bezieht eine Gegenposition zu vier in der Fundamentalismusforschung verbreiteten Tendenzen:

Tendenz 1: Angenommen wird, dass der Fundamentalismus ein einheitliches Phänomen darstellt.
Gegenführung: Zunächst wird gefragt, wie das Wort "Fundamentalismus" verwendet wird. Bei der Sprachanalyse zeigt sich, dass unterschiedliche Bedeutungen im Spiel sind. Unter anderem wird unter Fundamentalismus verstanden: das Erheben eines absoluten Wahrheitsanspruchs für eine bestimmte Weltanschauung (Dogmatismus), die Verbindung eines absoluten Wahrheitsanspruchs mit der Anwendung von Gewalt gegenüber Andersdenkenden (gewaltbereiter Dogmatismus), die Rückkehr zu den Wurzeln einer Lehre (Back-to-the-Roots-Bewegung). Es gibt somit nicht den Fundamentalismus, sondern verschiedene Formen des Fundamentalismus.
Im zweiten Schritt wird dann gefragt, ob sich einige Bedeutungen von "Fundamentalismus" auf Fragestellungen beziehen lassen, die als wissenschaftlich legitim gelten können. Sind diese identifizierbar, so bedeutet das, dass es mehrere Arbeitsfelder gibt, zu denen jeweils ein bestimmter Fundamentalismusbegriff gehört.

Tendenz 2: Angenommen wird, dass der Fundamentalismus ein spezifisch modernes Phänomen ist.
Gegenführung: Vor dem Hintergrund der Begriffsdifferenzierung muss diese These als verfehlt gelten. So ist etwa der Dogmatismus ein uraltes Phänomen: Weltanschauungen werden zunächst und zumeist als definitiv wahr angesehen. Auch der gewaltbereite Dogmatismus ist ein altes Phänomen, wie sich z.B. an der Hexenverfolgung zeigt. Bei allen Formen des Fundamentalismus ist daher zwischen vormodernen und modernen Varianten zu differenzieren, und jede moderne Variante ist in einen größeren historischen und systematischen Kontext zu stellen. Erfolgt diese Einbettung nicht, so führt das zu Fehleinschätzungen.

Tendenz 3: Vieles von dem, was die Fundamentalismusforschung leistet, ist zwar sinnvoll und wichtig, aber die inhaltliche Kritik wird weitgehend ausgeklammert.
Gegenführung: Es wird nicht hinlänglich beachtet, dass ein Anspruch auf absolute Wahrheit berechtigt sein könnte. Daher muss nachgewiesen werden, dass er im jeweiligen Fall unberechtigt ist. Das Ausklammern der Rechtfertigungs- bzw. Wahrheitsfrage führt als generelle Tendenz in eine Sackgasse, da eine substanzielle argumentative Auseinandersetzung unterbleibt. Man lässt sich auf die Sichtweise des Gegners nicht ernsthaft ein und scheut die Mühen der Entkräftung.

Tendenz 4: Viele Wissenschaftler unterscheiden nicht sauber zwischen der verstehenden Rekonstruktion (z.B. eines weltanschaulichen Dogmatismus) und der Kritik, sie vermengen beides.
Gegenführung: Hat man die Notwendigkeit einer ernsthaften argumentativen Auseinandersetzung erkannt, so ist es unerlässlich, strikt zwischen verstehender Rekonstruktion und Kritik zu differenzieren und nach dem Prinzip "Erst verstehen, dann kritisieren" zu verfahren.

Im Kritikteil wird versucht, den weltanschaulichen Dogmatismus generell zu entkräften, indem gezeigt wird, dass er auf einem Denkfehler beruht; diese Kritik trifft dann auch die gewaltbereiten Varianten. Im Hinblick auf den religiösen Dogmatismus (etwa christlicher, jüdischer, islamischer Art) wird so argumentiert:
Der religiöse Glaube dieser oder jener Art kann zunächst als Überzeugung aufgefasst werden, dass eine übernatürliche Dimension existiert und dass diese eine bestimmte Beschaffenheit aufweist (dass z.B. genau ein Gott existiert, der allmächtig ist). Für einen solchen Glauben einen absoluten Wahrheitsanspruch zu erheben, bedeutet, dass dieser nicht nur als subjektives Überzeugtsein von etwas Bestimmtem aufgefasst wird, sondern als Wissen von der übernatürlichen Dimension, und zwar als endgültiges, als höheres Wissen. Jeder religiöse Dogmatismus befindet sich nun in einer Konkurrenzsituation mit anderen religiösen sowie auch mit areligiösen Weltanschauungen. In einer solchen Situation reicht es nicht aus, wenn die eigene Sichtweise nur als definitiv wahr behauptet wird (denn das tun viele konkurrierende Positionen auch), sondern es muss nachgewiesen werden, dass es sich so verhält, wie behauptet wird. Ein solcher Nachweis ist aber bislang nicht erbracht worden, und er ist vielleicht sogar unmöglich. Der Anspruch auf endgültiges und höheres Wissen muss daher als unberechtigt gelten. Die Anhänger der verschiedenen Religionen sollten sich folglich damit begnügen, nur ein subjektives Überzeugtsein von etwas Bestimmtem zu artikulieren – in dem Bewusstsein, dass dieses auch verfehlt sein kann. Dann aber kann man respektieren und tolerieren, dass andere davon abweichende weltanschauliche Überzeugungen haben.
In einem längerfristigen Prozess sollte von der dogmatischen zur undogmatischen Einstellung übergegangen werden; dann würden sich viele bedrängende Probleme lösen lassen.


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Infos zum Beitrag:

  • Publikationsdatum
    10/2015
  • Bereich/Forum
    Ideologieforschung
    Wissenschaftliches Forum
  • Textart
    Aufsatz/Vortrag

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