DANIEL BITTMANN
Mythos Mafia. Zur Funktionsweise einer poetischen Fiktion
Welche Assoziationen weckt der Begriff "Corleone"? Wahrscheinlich würden die wenigsten dabei an die kleine, eher unbekannte Stadt in der Nähe Palermos denken, sondern sich eher an Begriffe wie "Mafia", "Der Pate" oder "Don Corleone" erinnert fühlen. Seit Mario Puzos Bestsellerroman Der Pate (1969, englischer Originaltitel The Godfather) und der Verfilmung durch Francis Ford Coppola (1971) ist der Begriff beinahe zum Synonym für das organisierte Verbrechen geworden. Die Grenze zwischen realer Mafia und ihrem fiktiven Pendant ist seit der Erscheinung des Films immer schwerer zu ziehen: Echte Mafiosi nehmen sich den Don als Vorbild, die breite Masse hält das organisierte Verbrechen seitdem für eine Gruppe selbstloser Edelmänner, die sich der Ehre und dem Schutz ihrer Familie um jeden Preis verschrieben haben – ein Mythos ist geschaffen worden, der sowohl die Mafia allgemein betrifft, sich aber vor allem aus der Hauptperson Don Vito Corleone ableiten lässt.
Wie kann eine poetische Fiktion sich als Mythos manifestieren und einen solchen Stellenwert in der Beurteilung der Realität erreichen, dass sie diese praktisch überholt und in den Vorstellungen der Menschen ersetzt?
Um das herauszufinden, sollten die filmische und literarische Darstellung der Mafia, und besonders der Hauptcharakter des "Paten", Don Corleone, im Hinblick auf die Mythosbildung genauer untersucht werden. Zur Einführung des Phänomens wird dazu kurz aufgeführt, inwiefern die Fiktion auf die Realität Einfluss genommen hat um dann zu sehen, welche Art von Mythos sich aus Don Corleone entwickelt hat. Anschließend wird gezeigt, dass sich die Darstellungen des Wertesystems in der Fiktion nicht mit denen der Realität decken, um schließlich durch Analyse einiger ausgewählter filmisch-poetisch stilbildender und rhetorischer Mittel herauszufinden, wie die besondere Wirkung des Werks unter anderem erreicht wird und auf diese Weise ein Mythos entstehen konnte.