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ALEXANDRA RASSIDAKIS

Die Provokation der Vorübergehenden:
Gnosis als Denkfigur in der Literatur des
20. Jahrhunderts

Als metaphysisch legitimierter Anarchismus, Traum von der Selbsterlösung oder Glaube an die Göttlichkeit des Menschen übt die gnostische Lehre eine Faszination aus, die – wie die zahlreichen Publikationen der letzten Jahren bezeugen – weit über ihre Entstehungszeit hinaus bis in unsere Zeit anhält. Folgende Arbeit stellt sich, indem sie sich der Untersuchung von Gnosis in der Literatur des 20. Jahrhunderts widmet, in den Kontext der Diskussion um die Aktualität der Gnosis.

Im ersten Teil, mit dem Titel Die antike Lehre werden die historischen Erscheinungsformen der Gnosis präsentiert und die den unterschiedlichen Lehren gemeinsamen Grundzüge gnostischen Denkens herausgearbeitet. Ausgehend davon wird das Konzept der gnostischen Denkfigur entwickelt, die als individuelle Bewegung von Unwissenheit zu erlösendem Wissen definiert wird, welche die Bewusstwerdung eines doppelten Bruches zwischen Welt und Gott und Individuum und Welt impliziert und somit einer Neudefinition der Beziehung des Individuums zur Welt gleichkommt. Die Betrachtung der charakteristischen Verkettung zentraler Vorstellungen der gnostischen Lehre als Denkfigur erlaubt es sowohl die Dynamik der Gnosis als Teleologie, als auch die Variabilität ihrer historischen Manifestationen zu berücksichtigen.

Ausgehend von der These Blumenbergs, Neuzeit sei die endgültige Überwindung der Gnosis widmet sich der zweite Teil der Arbeit, unter dem Titel Gnoseologie, der Beziehung von Gnosis und Neuzeit, wie sie im philosophischen Diskurs der Gegenwart erörtert wird. Die kritische Beleuchtung der einander stark abweichenden gegenwärtigen Positionen zur Gnosis erlaubt es, drei Grundauffassungen zu unterscheiden: Gnosis als Daseinslehre (Jonas und Taubes), Gnosis als Erlösungslehre (Aland), Gnosis als Weltablehnung bzw. Anarchie (Sloterdijk und Scholem).

Durch den gnoseologischen Überblick ist der Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen sich eine literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit der Gnosis zu bewegen hat; dies ist der Gegenstand des dritten Teils, mit der Überschrift Gnosis und Literatur. Hier zeigt sich, dass die drei grundsätzlichen Tendenzen, die Gewichtung auf den Aspekt der Daseinslehre, der Soteriologie oder der Weltablehnung, sowohl die Methode als auch den Gegenstand der bisherigen Literaturanalysen bestimmt haben. Eine Alternative zu diesen Ausrichtungen strebt der eigene Ansatz an, der von dem im Verlauf der Arbeit entwickelten Konzept der gnostischen Denkfigur ausgeht. Dieser Ansatz erlaubt einerseits, die Variationen auf der Ebene der Manifestationen zu untersuchen, und ist somit geeignet, sehr unterschiedliche Werke zu analysieren; andererseits bietet er eine festgelegte Struktur und damit ein Kriterium, das die Untersuchung vor Beliebigkeit schützt. Die exemplarische Analyse von Franz Kafkas Der Prozeß und Das Schloß, Ernesto Sábatos Über Helden und Gräber und Abaddon und Philip Dicks Valis dient der Illustration dieses Ansatzes und erweist zugleich – nicht zuletzt durch die Auswahl von unterschiedlichen Kulturkreisen entstammenden Werken – die Variationsbreite der literarischen Anverwandlung der gnostischen Denkfigur.


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