DANIELA SCHILLING
Die Rolle des Archivs bei der Konstruktion und dem Abbau von Feindbildern
Was hat die Einrichtung Archiv mit der Konstruktion von Feindbildern zu tun?
Auf diese Frage wird sich kaum eine Antwort finden, wenn man das Archiv lediglich als Aufbewahrungsstätte für abgelegte Schriftstücke, verstaubte Bücher, alte Fotos etc. betrachtet. Beschäftigt man sich allerdings mit den Mechanismen der Feindbildentstehung und betrachtet dabei den Stellenwert den das Archiv in Gesellschaft und Politik einnimmt, so lässt sich ein deutlicher Schnittpunkt bei den Themen Gedächtnis und Erinnerung erkennen, den Schwerpunkten der Gedächtnisforschung.
Feindbilder formieren und stabilisieren sich auf Basis von Erinnerung und Geschichte, das Archiv wiederum verwahrt Erinnerungen und hilft, Geschichte zu rekonstruieren. Somit kann das Archiv direkten Einfluss auf die Entstehung und Stabilisierung von Feindbildern nehmen. Diese Mechanismen sind auch in den Kreisen politischer Machthaber bekannt.
Bekannt ist diesen aber nicht nur der legitimierende Effekt des Archivs, sondern auch die mögliche Bedrohung, die durch seine Bestände ausgehen kann. Somit existiert keine Gesellschaft und kein politisches System, das neben den allgemein zugänglichen Zeugen der Vergangenheit, den archivierten Dokumenten, Fotos und Akten früherer Zeiten, nicht auch solche besitzt, die unter Verschluss gehalten werden. Selbst in der demokratischsten und liberalsten Werteordnung existieren Texte, die dieser feindlich gegenüberstehen und sie bedrohen.
Um dieser Bedrohung entgegen zu wirken, werden Mittel wie z.B. Bewertungsrichtlinien zur Archivierung und Kassationslisten genutzt. Diese sollen die Bestände bereinigen und sie zum jeweils eigenen Vorteil formen.
Sowohl demokratische wie auch totalitäre Staaten nutzen die mögliche Einflussnahme der Archive, um ihren Herrschaftsanspruch zu untermauern und Kritik gegen ihr System abzuwehren. Ein Beispiel für ebensolch eine Nutzung des Archivs, erfolgt am Beispiel des Romans 1984 von George Orwell.